Mörtel ist nicht gleich Mörtel: Warum das Bindemittel über Erfolg oder Schaden entscheidet
Ein sorgfältig gewählter Mörtel kann ein Baudenkmal schützen – ein falsch gewählter kann es zerstören.
Der Schlüssel zur nachhaltigen Erhaltung historischer Mauern liegt oft im unscheinbaren Mörtel. Ob Restaurierung, Ausbesserung oder Ergänzung – das Bindemittel entscheidet über Langlebigkeit, Kompatibilität und Feuchtigkeitsverhalten des gesamten Baukörpers. Im Folgenden werden die Zusammenhänge, Auswahlkriterien und Risiken beleuchtet.
Die Rolle des Mörtels in historischer Baukonstruktion
In vielen Denkmälern stellt der Mörtel eine „Opferzone“ dar: Er nimmt bewegungs- und feuchtebedingte Spannungen auf, um das eigentliche Mauerwerk zu schützen. Wird jedoch ein zu harter Mörtel verwendet – etwa ein moderner Portlandzement – kann dieses Gleichgewicht gestört werden. Der Zementmörtel lässt weniger Feuchtigkeit entweichen und leitet Spannungen auf das Mauerwerk, was zu Abplatzungen, Rissen oder Materialzerfall führt.
Studien belegen, dass alte Kalk‑ und hydraulische Mörtel gegenüber Zementmörteln weicher und diffusionsoffener sind. Damit harmonisieren sie besser mit historischen Steinen oder Backsteinen und vermindern strukturelle Spannungen im Bauwerk.
Bindemitteltypen: Kalk, hydraulischer Kalk, Zement – Vor- und Nachteile
- Weisskalkmörtel (Luftkalk)
Traditionell eingesetzt in vielen historischen Bauwerken. Er härtet durch Karbonatisierung (CO₂-Aufnahme) und bleibt über lange Zeit leicht verschieblich und diffusionsoffen. Ideal für gering belastete oder bewegliche Fugen. - Hydraulischer Kalk / Naturhydraulischer Kalk (NHL)
Ein Kompromiss zwischen Luftkalk und Zement: Er härtet sowohl durch CO₂-Aufnahme als auch durch Hydratation und bietet moderate Festigkeit. Er verbindet gute Haftung und eine gewisse Flexibilität. - Zementmörtel (Portlandzement)
Schnelle Festigkeitsentwicklung, sehr hart und wenig nachgiebig. In historischen Kontexten problematisch: Er behindert Feuchtigkeitsaustausch und übt Druck auf benachbartes Material aus. - Hybridmörtel und Zusatzstoffe
Neuere Forschungen befassen sich mit Kalkmörteln, die z. B. mit Biomasseasche oder Pozzolanen gemischt werden, um Festigkeit, Haltbarkeit und Nachhaltigkeit zu verbessern.
Kompatibilität: Der zentrale Aspekt jeder Mörtelwahl
Der wichtigste Auswahlfaktor ist die Kompatibilität zwischen Neu‑ und Altkonstruktion:
- Bewegungen aufnehmen können, ohne abzureissen
- Kapillarität und Diffusionsfähigkeit: Feuchtigkeit muss möglichst durch die Fuge entweichen können
- Wärmedynamisches Verhalten: Unterschiedliche thermische Ausdehnung zwischen Mörtel und Stein kann zu Spannungen führen
- Festigkeit und Haftung: Ausreichend, um Lasten zu übertragen, aber nicht so hart, dass Versagensmechanismen verlagert werden
Bereits in einfachen Standardwerken der Denkmalpflege wird darauf hingewiesen, dass Zementmörtel häufig Schäden statt Hilfe verursachen – besonders wenn sie in Altbauten ohne moderne Sperrschichten eingesetzt werden.
Praktische Kriterien und Vorgehensweise bei der Mörtelauswahl
- Bestand analysieren: Mörtelproben entnehmen, petrographisch untersuchen, Zusammensetzung und Porosität bestimmen. Viele Denkmalprojekte beginnen bereits mit geologischen und chemischen Untersuchungen der Originalmörtel
- Mörtelproben im Vergleich testen: Verschiedene Mischungen (Kalk-, NHL-, Hybridmörtel) erstellen, prüfen auf Schwindung, Haftzugfestigkeit und Wasserdampfdurchlässigkeit
- Langzeitverhalten berücksichtigen: Alterung, Witterungseinflüsse, Salzbelastung und Mikrostrukturveränderungen sind mit einzubeziehen – manche Mörtel zeigen über Jahre Entwicklung und Mikrorisse, die ihre Eigenschaften verändern
- Sanierungsstrategie festlegen: Nur Teilflächen ausbessern, um Spannungsdiskontinuität zu vermeiden. Übergänge zwischen Alt- und Neubau sorgfältig gestalten
- Qualitätssicherung und Nachbeobachtung: Ausführung durch erfahrene Fachkräfte, Dokumentation, Überwachung. Der Erfolg zeigt sich oft erst nach Monaten oder Jahren in Form von Feuchteverhalten und Fugenstabilität
Fallbeispiele und Forschungsergebnisse
- Eine Studie verglich historische und moderne Zement‑ und Gipsmörtel in einer restaurierten Fassade und zeigte erhebliche Mikro‑Rissbildung und erhöhte Feuchtigkeitsaufnahme im Stein hinter dem starren Zementmörtel
- Experimente mit Hybridkalkmörteln unter Verwendung von Biomasseasche als Zusatz zeigten, dass diese Mischungen vergleichbare Festigkeit und geringeren Umwelteinfluss bieten können – insbesondere bei Denkmalbauten mit moderatem Beanspruchungsgrad
- Eine Analyse historischer Mörtel in Schweizer Kulturgütern belegte, dass bereits im Mittelalter lokal verfügbare Bindemittel, Zuschlagsstoffe und Technik stark variierten, was eine individuelle Herangehensweise erfordert
Fazit
Mörtel ist weit mehr als die unsichtbare Fuge zwischen Steinen: Er ist Teil des Baukörpers, dessen Schutz und Verhalten entscheidend beeinflusst. Eine falsche Auswahl kann Risse, Feuchtigkeitsschäden, Ausblühungen und Materialzerstörung verursachen.
Erfolgreiche Denkmalpflege verlangt eine individuell angepasste Mörtelstrategie, die chemische, mechanische und bauphysikalische Aspekte harmonisch verbindet. Wer Mörtelwahl als integralen Teil einer fundierten Denkmalplanung versteht, legt das Fundament für nachhaltige Substanzerhaltung.
Quelle: denkmalpflege-schweiz.ch-Redaktion
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